PERSPEKTIVEN DER SCHULICHER SPRACHLEHR- UND LERNFORSCHUNG

 

Die SSLLF untersucht den  individuellen Erwerbsprozess von Fremdsprachenlernern  in der öffentlich-rechtlichen Institution Schule. Er stellt  Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum familiären Lehr-/Lernverhaltenheraus. Betrachtet werden  die allgemeinbildenden Lerngegenstände Französisch und Spanisch an Gymnasien, Grundschule und Kindertagestätte in ihrem Aufbau. Die beruflichen Anforderungsprofile von  sprachlichen Lekten und Themen vor dem Hintergrund  derLernervoraussetzungenbleiben außer Betracht, weil sie einen eigenen höchst komplexen Forschungsgegenstand darstellen (vs. europäischer Kompetenzrahmen).

 

Die Bundesländer legen in ihren Lehrplänen ihre fachübergreifenden und fachlichen Erwartungen nieder. Sie werden von der Kultusministerkonferenz minimal koordiniert. Diese sind nach dem Prinzip der Subsidiarität mit den Europäischen Kommission ‚abgestimmt‘:  institutionelle Rahmenbedingungen wie Stundentafel und Wochenstunden werden  zur Erreichung von Äquivalenz auf dieser Ebene koordiniert. Sie sind kritisch zu beurteilen, weil sie die nationale Kompetenz unterlaufen und lediglich verwaltungstechnisch angelegt sind, so dass Inhalte und Qualitätsstufen außer Betracht bleiben.  Die OECD mit ihren Auffassungen interferiert überdies.

 

Gemäß den Vorstellungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1983) versteht sich die SSLLF als ein interdisziplinäres Vorhaben, weil eine Person selbst in einem Modell nicht auf eine unitare kognitive, zudem maschinelle  Funktion reduziert werden darf.

 

Der menschliche Spracherwerb mit dem Ziel der Textproduktion weist mehrere Perspektiven auf: eine universelle , nämlich  die Abgrenzung zum nächsten Verwandten in der Evolution, dem Affen (Gehirnentwicklung, Verhalten), eine populationsdifferentielle (z.B. männlich, weiblich, soziokulturell,-stilistisch, altersanhängige), welche auch die Frage der Sprachbegabung in den Blick rückt,  sowie  eine individuelle, nämlich den persönlichen dynamischen Lernprozess (subjektive Theorie), der ihn interindividuell von anderen Lernern durch endogene und exogene  Unterschiede abgrenzt. Es bietet sich an, in Abstimmung mit der Gehirnreifung eine Lebenslaufperspektive einzunehmen: Infolge zunehmender Reifung des Gehirns entwickeln sich die Lernarten von vermehrt impliziten in der Kindheit zu mehr kognitiven in der Jugend. Es entsteht eine psychokognitive Entwicklungsperspektive, welche Verhaltens- und Denkstile bei der Verarbeitung von verbalen Texten innerhalb eines semiotischen Überbaus beleuchtet.

 

DemVoraussetzungsbereich junger Lerner wird einentwicklungspsychologisches ‚Standardmodell‘ zugewiesen, das auspatholinguistischen Erkenntnissen zu filtern war.Es zeigt die neuronale Vernetzung im groben, weil eine Feinnachzeichnung mit all ihren Varianten nicht darstellbar ist. Die Grundlagen sind nunmehr gelegt; sie sollen in einer letzten Publikation  (ca. 2017) zu einem vorläufigen Ende gebracht werden.  Sprachlich-textuelle Fertigkeiten  wirken sich auf die verbale Intelligenz mit ihren beiden Seiten, der Begabung und  dem Lernen aus.  Die mentalen Verarbeitungsmodi der Geschlechter zwischen den Extremata subtraktiver  (Teufelskreis) und nahezu ausgeglichenerBilingualität (Engelkreis) leiten sich aus der  unterschiedlichen Nutzung und Beanspruchung  von Hemisphärarealen und Psyche bzw. dem viszeralen Gehirn  ab, die gemäß MacLean (1970) als „triunebrain“ modelliert wurde.Entwicklungsneurobiologische Erkenntnisse legen nahe, dass  von der Idee einer  persönlichen‚Gehirnskulptur‘ auszugehen ist:  sie beinhaltet, dass Lernprozesse und -inhalte Auswirkungen auf die neuronale Verankerung und Vernetzung haben. Variable Faktoren gibt es mehrere. Genannt seien  etwa das Gedächtnis, das sich aus mehreren  zusammensetzt,  sowieTemperament und Charakter mit Folgen für Haltungen und Verhalten wie etwa Selbstbewusstsein ,Selbsteinschätzung, Kontrollbereitschaft,  Selbststrenge, Durchhaltevermögen und Umgang mit Hürden. Hierzu hat der Autor in Abwandlung von S. Freud ein Funktionsmodell von Ich-Funktionen vorgelegt, das rahmenbildend auf Stärken und Schwächen in der Konstruktion einer Person eingeht.

 

Zum soziokulturellen häuslichen und schulischen Voraussetzungsbereich gehören  gesellschaftliche und familiären Anforderungen  (z.B. Sprachpflege, Normierung, Themen, Texte) sowie ein  schulisches Setting, welches in Deutschland föderal bildungspolitisch sowie weltanschaulich beeinflusst ist. Erwartbare Standardanforderungen leiten sich aus Bürger- und Arbeitstugenden her, wie z.B. Aufmerksamkeitsschulung, Denkschulung  und Selbstkontrolle. Schulische Klassen wollen heutzutage aus einer leistungsheterogenen Schülerschaft bestehen, ohne dass dies ihnen gut täte.

 

Zur Optimierung der fremdsprachlichen Lernorganisation ist zukünftig über ein höheres Stundendeputat und  längere Lernphasen, etwa Blockphasen oder längere Lernphasen mit  Wiederholungen im Zielland nachzudenken, denn im Mittelpunkt der Reflexion der  SSLLF  stehen Verbesserungsmöglichkeiten von  Produktion zum Nutzen von Behalten unter natürlichen Voraussetzungen.Dessen ungeachtet ist der Umgang mit Sprache und Texten an der öffentlichen Normerwartung gebunden.  Mit Bezug auf dieses Ziel kommt der Behebung von  Fehlern im Lernprozess  ein zentrales  Augenmerk zu, zumal er dieser Leistungsbereich in seinem gesamten Spektrum betrifft.

 

Zum Bereich der Vermittlung gehören die Analyse der Faktoren häuslicher Kontexte, schulischer Rahmenbedingungen,  Leistungsspiegel der Schüler, der Lehr-/Lernmateralien sowie Selbstreflexion des Lehrers über sein Vorgehen. Diese Analysen werden im sog. Unterrichtsplan festgehalten,  der eine Grundlageprofessionellen Verhaltens bildet. Diese funktionale Sichtweise ist zu trennen von den außerschulischen Zusatzleistungen des Schülers unter eigener Lenkung oder der der Eltern. Die Schule selbst berät Eltern und Schüler zum Lernprozess und seine Weiterungen für den Lernprozess sowie den Lebenslauf. Vorschulisches bilinguales Lernen ist etwas anderes als schulisches, weil unterschiedliche Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen vorliegen.

 

Ein weiterer entscheidender Anteil  schüler- und  lehrseitiger Professionalität ist die Nachbereitung mit ihren Schlussfolgerungen aus dem Unterrichtsgeschehen.  Es gibt erzieherische, das Arbeitsverhalten des Lerners betreffende Reflexionen zur  Problemlösequalität  sowie daraus folgend behaltensfördernde  Maßnahmen zur Festigung des Lernstoffs (etwa:  zyklische Wiederholungen).

 

Der Lerner unterliegt Biorythmen. Sein  Lerntag ist thematisch oft vielseitig gefüllt , so dass – auch zur Vermeidung methodischer Monotonie- über bereichsdidaktische  Straffungen und Lernphasen (Ganztag, Wochenverteilung, Blockbildung) nachzudenken ist.

 

Die fachspezifische Methodik, hier Französisch und Spanisch, befasst u.a. sich mit den Divergenzen, die zwischen  Sprachen bestehen und daher das Behalten erschweren. Da Lerner in einem L1-Kontext, hier  Deutschland,  eine L2 erlernen, die Fremdsprache aus ihrem muttersprachlichen Verständnis erschließen, ergeben sich typische Lernerfehler, die sich von Sprache zu Sprache ändern. Sie betreffen daher die Sprachenfolge in einer Schule.

 

Die Methodik befasst sich zudem, in der Vergangenheit unter der sinnvollen Formel  ‚integrierter Sprach- und  Sachunterricht‘, gegenwärtig zunehmend als Sach- und Fachunterricht,  nunmehr mit zivilisatorischen Unterschieden (Landeskunde, Literatur, Sachfach). Den Platz von Langtexten ehemals wird von Modulen, einst Dossiers, mit einem Angebot diverser Texte ersetzt. Eine Ausrichtung auf das Zielland wurde aufgegeben, stattdessen Problemkreise der Francophonie und Lateinamerikas aufgegriffen.

 

Die Bildungspolitik spielt mit dem Terminus ‚bilingual‘ und lässt seine Konturen verschwimmen. Nach traditionellem Verständnis sollte ein Schüler nach Besuch von Schule und Universität im Inland in der Lage sein, die L2 rezeptiv zu 90% zu verstehen und produktiv in Wort und Schrift 70% (Schätzung). Um das Niveau zu heben, studierte man mindestens ein Jahr im Zielland. Seit einigen Jahren nun bietet man Kurse an, in denen Lekte – mit welchem späteren allgemeinen oder beruflichen Nutzen? – angeboten werden, z.B. Geographie, Geschichte, Mathematik oder gar Sport. Er wird ‚coursbilingue‘ genannt. Als ‚bilangue‘ dagegen versteht sich der Sprachkurs, der überwiegend mündliches Sprachproduktion anstrebt. Die Pragmatik verdrängt mehr und mehr die ehemalige Interpretation von Literatur. Mit der bilingualen Konzeption wird der integrierte Sprach- und Sachunterricht mit den Pfeilern Landeskunde, Literatur und Sprache aufgegeben. Das ERASMUS-Programm trägt nicht zur Leistungssteigerung bei.

 

Die Computervernetzung  veränderte in der den letzten vierzig Jahren zunehmend  das Lernverhalten, so dass über die medialen Vor- und Nachteilen nachzudenken ist. Welches soll der pädagogische Nutzen einer kontinuierlichen Nutzung für das Gehirn sein: was leisten Ipad, Whiteboard, Internet, Lernplattform usw. mehr als herkömmliche Wege? Leider kommt diese Reflexion zu kurz, weil die Regierungen den Umgang mit ihrer Wirtschaftspolitik diktiert haben.

 

Nach Fixierung der allgemeinen Forschungsziele durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1983 ff. hat der Autor es unternommen, Grundlagen für diesen integrativen Forschungszweig zu legen (Skizze 2000). In der wissenschaftlichen Diskussion sind die zu ergründenden Einzelbereiche im Groben konsensfähig. Desiderate werden dennoch deutlich:  Es wird nötig sein, die SSLLF aus ihrem ideologischen Korsett der Bildungspolitik zu befreien, weil Bildung/Kultur zum  gesellschaftlichen  Fundament gehört ebensowie die Gesundheit. Kultur ist keine beliebige Verhandlungssache, sondern- betrachtet man die Evolution – eine dynamische Optimierungsmöglichkeit menschlicher Belange  in Friedenszeiten. Die Schule hat in der hochhomplexen modernen Gesellschaft eine immer  verantwortungsvollere Aufgabe zugewiesen bekommen: nämlich die Anlage von sinnvollen Fertigkeiten für die weiteren Lernphasen des Schülers in seinem  Leben. Welche das nun konkret  sein sollen, wird wohl eine stets strittiges Problem bleiben.

 

Im Grunde erscheint unstrittig zu sein, was eine gute Schule ist, nämlich eine solche, welche ihre Schüler mit ihrer Mitwirkung solide auf ihre Zukunft hin vorzubereiten in der Lage erscheint. Solide Fremdsprachenkompetenzen jedenfalls erhöhen die Mobilität und  tragen zur Verständigung und zum Verständnis der historisch geprägten Andersartigkeit anderer Länder bei. Die Sprachnutzung, ob Mutter- oder Fremdsprache, ist kein Habitus, sondern Bestandteil  von Person und Persönlichkeit innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Will man wirklich Verständigung mit Menschen im Zielland und nicht bloß oberflächliche  Mini-Kontakte, dann ist die mündliche und schriftliche Produktionskompetenz  in der Schule zur Studierfähigkeit im Zielland hin anzuheben. Dieses traditionelle Richtziel ist für das Gymnasium mittlerweileaufgegeben worden.

 

Die Behandlung von Themen  - ein hoch kontroverses bildungstheoretisches Problem zwischen Pragmatik (vor allem wirtschaftlichen Nutzung),  Kultur (Ästhetik) und Werten – ist daher eine über die bereichsspezifische Textbildungsfähigkeit hinausgehendes, aber eng mit ihr verbundene Problematik, die eigene Didaktiken und Methodiken erzeugt (zudem: transversale Themen aus Zivilisationskunde und Literatur; Kernpool;  Module).

 

Der Autor hat den Blick gelenkt auf entwicklungsspezifische , die Personalisation des Schülers betreffende,  Themen, davon ausgehend, dass das Interesse  des Lerners wächst, wenn ihm  deutlich wird, dass der Lernstoff ihn etwas angeht.

Die Entwicklung eines Pools von diversen Textarten, in der Deutschdidaktik seit den 1960er Jahren für den  Unterricht skizziert, bleibt ebenfalls eine  kontroverse Aufgabe für die Zukunft.


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